Sense of Sight 1996 – 2004

In einem Manuskript von 1999 schreibt Margarethe Haberl über die materiellen Komponenten ihrer Arbeiten, gibt Auskunft über thematische Anregungen und wie diese zur Formfindung beitragen. Sie erzählt bspw. von dem Film »La Belle Noiseuse« von Jaques Rivette und von ihrer Faszination gegenüber Opposi- tionen, wie »Anwesenheit und Verborgenheit, Enthüllen – Verhüllen, Zeigen – Verdecken« (M.H., 1999). Als Schlüsselarbeit zum Verständnis für ihr künstlerisches Schaffen in den letzten Jahren verweist sie auf »Das Sichtbare und das Verborgene Nr. 19« von 1996/97, ein zweiteiliges Bildobjekt, das auf zwei Frontebenen zwei Embleme zeigt. Diese stehen nicht nur formal in Bezug zueinander, sondern auch in der Bedeutung des Begriffs Emblem, nämlich einerseits sinnbildlich – im konkreten Fall für Identität/Differenz – und andererseits als Kennzeichen für mo- derne Kunst und ihre Formen zwischen Präsenz oder Absenz und Selbstreferenz.

Was die Kunst allgemein interessant macht, ist fraglos der Umstand, dass jede Artikulation in Formen der Kunst ungeachtet der verwendeten Mittel von einem Menschen stammt, der mit uns bzw. dem Publikum in einen Dialog treten will. Das erklärt auch unsere Neugier für ganz persönliche Beweggründe künstlerischen Schaffens, die zumeist auf der Erwartung basiert, dass solcherart Künstlerstatements ein Universalschlüssel zur kognitiven Aneignung sein könnten. Mit dieser Neugier allein wird unser Kunstverständnis aber sehr eingeschränkt bleiben. Denn ent- sprechend den komplexen Befunden der Kunst braucht es für ein umfassenderes Verständnis einen Analyseansatz, der die Zu- rechnung von Ideen auf bestimmte Trägergruppen, bspw. die Künstlerschaft, durch system- und evolutionstheoretische An- nahmen ersetzt.


SENSE OF SIGHT 1996–2003 Ausstellungsansicht 2003. Galerie Eboran, Salzburg © Margarethe Haberl / Bildrecht



01 – 02 aus der Serie Energies 1996 / 2002 – 03, Kunstharzlack auf MDF / Lack auf Glas,  1 – 64 und der Serie red strings 1999, 1 – 44,  Gouache auf Chinapapier in Plexiglaskästen,
Foto: Franz Schachinger © Margarethe Haberl / Bildrecht

Das macht zwar die Intentionen von Künstler- subjekten und die singulären Qualitäten ihrer Werke nur zu einem Faktor neben anderen, öffnet aber den Blick auf den Sachverhalt, dass sich Kunstartikulationen nur im entwicklungsgeschichtlichen Zu- sammenhang der Kunst begründen können. Und ohne Aus- differenzierung, funktionale Spezifikation und Standardisierung, die das Kunstsystem evolutionär ausgebildet hat, wäre Kunst im Sinne ihres Begriffs für uns weder sinnlich erfahrbar, noch intelligibel – kurzum: nicht kommunizierbar. Wie auch die Arbeit »...Nr. 19« von 1996/97 zeigt, sind Kunstwerke im Zu- sammenhang der evolutionären Differenzierung und Rekom- bination der Funktionen und Mechanismen im Kunstsystem schon im Laufe der ästhetischen Moderne in Dynamiken des Selbst- reflexivwerdens geraten.

Mit den gesteigerten Ausdifferenzierungstendenzen in den verschiedenen Funktionssystemen der Gesellschaft sind auch im Kunstsystem in den letzten zwei Jahrzehnten Kunstphänomene entstanden, die sich weniger unter dem Ästhetischen als mehr einem kunstsoziologischen Aspekt erklären lassen. Das trifft sowohl auf die dezidiert prozessorientierten Positionen in den aktuellen Kunstszenen zu, als auch auf die heutige Produktion von Kunstobjekten, die sich auf Varianten tradierter Medium/ FormKorellationen stützen. Es ist charakteristisch für eine Kunst nach der Logik des Neoavantgardismus – der ab 1945 erneut die rein kunstimmanenten ästhetischen Fragestellungen aufgelöst hat –, dass das Soziale (das Gesellschaftliche) in den Vorder- grund tritt. Umberto Eco hat mit seiner bereits 1977 er- schienenen Schrift mit dem Titel »Das offene Kunstwerk« diesen Bewusstseinswandel, sowohl seitens der Produktion als auch der Rezeption, ausführlich dargelegt. Denkt man an die skulpturalen Hybriden zwischen Kunst, Design und Architektur, wie sie seit den 80er-Jahren in den Kunstdiskursen an Aktualität gewonnen haben, so stehen die Arbeiten von Margarethe Haberl für eine Kunst des nachfolgenden kunstevolutionär jüngsten Schritts. Die werkintern-formalen Hybridisierungstendenzen setzten sich strukturell etwa als Formen der Dienstleistung in den Praktiken und Verfahrenswegen der Kunst weiter fort. Das Phänomen post- historische Kunst hat sich immer mehr dem Design angenähert. Und wie alle heutigen Formen der bildenden Kunst zwischen Bild und Nichtbild, zwischen Lichtund Materialbild, zwischen Ma- terialität und Immaterialität, wie ebenso die heutigen Kunst- strategien, die offensiv Konsequenzen aus dem Umstand ziehen, dass die ästhetische Epoche der Selbstbeschreibung der Kunst zu ihrem Ende gekommen ist, verweisen alle diese Formen auf die aktuelle Situation einer Kunst an der Schwelle zur Ultramoderne, die gleich den Avantgarden der ästhetischen Moderne im 20. Jahrhundert auf der Suche nach neuen Funktionen in der Gesellschaft ist. Anders ausgedrückt lässt sich auch sagen, dass die vielfältigen Kunstartikulationen gegenwärtig ihre Kom- plexitätsbewährung unter neoliberalen Bedingungen erproben.

Die ästhetische Information wird dabei weiterhin eine Rolle spielen. Und auch das Interesse am Ästhetischen wird nicht vollends verschwinden, wie bspw. die Ausführungen von Ingo Nussbaumer, selbst bildender Künstler und Theoretiker, belegen, wenn er die zwischen 1999 und 2000 entstandene Serie »red strings« von Margarethe Haberl als eine »Wiederaufnahme des mit Schablone, roter Gouache und Pinsel entwickelten Elements der Linie« beschreibt. »Dabei üben nur zwei Bestandteile und zwar ellipsoide und halbkreisbögenartige Linien in einfacher Wiederholung gestaltende Funktion aus. Die Farbe wird auf Chinapapier so aufgearbeitet, dass der geschnittene Charakter der Schablonen in den gebogenen Linien erkennbar bleibt. In ganz unterschiedlichen strukturalen Anordnungen werden die sich iterierenden Hauptbestandteile übereinandergelegt, getreppt, von einander abgesetzt und partiell bis zu reusenartigen Mustern verdichtet« (I.N., 2000). In ihrer ironischen Gestik korres- pondieren die Formen mit der Ästhetik von Cartoons.

 

M.HABERL sense of sight nr 19, 20, 21, 22, Lack auf Holz 1996 – 1997, Galerie Eboran 2003, Foto: Franz Schachinger © Margarethe Haberl / Bildrecht

 

Haberls Konzeption der Arbeit »...Nr. 19« von 1996/97 wird in den Serien von zweiteiligen Bildobjekten mit den Titeln »Make Up's« und »Energies« weiter entwicket. Dabei bildet ein zweiter Objektteil, der in einer Nut geführt mit dem ersten verbunden ist, ein flexibles Element, das die Besitzer der Arbeiten zur Änderung der Gestalt einlädt. Nicht nur mit ihrem Verbund von Holz, Glas und Lack, sondern mit ihrer für heutige Kunst charakteristischen Hybridität ganz allgemein, oszillieren die Arbeiten zwischen Zi- tation, Dekonstruktion, Remix und Design. Die Leitorientierung beider Serien ist Identität/Differenz und wird in Material, Form und Farbe von der Künstlerin mit Raffinesse ausgespielt. Der Hautton fotografierter Porträts korreliert mit einem je ent- sprechenden Farbton einer Lackfarbe in Form einer modern-monochromen Ikone. In der Serie »Energies« stehen cartoon- artige Zeichnungen auf spiegelnden Glasoberflächen, aufgetragen mit schwarzem Lackstift, im wechselseitigen Bezug mit opaken Farbflächen in Schwarzbraun.

© F.E. Rakuschan

 

M.HABERL installation view nac habres+partner vienna, 2004 © Margarethe Haberl / Bildrecht

 

 

M.HABERL Energies nr 67, 68, Kunstharzlack auf MDF, Lack auf Glas 1996 - 2003, AREA53 Wien 2010 © Margarethe Haberl / Bildrecht


eboran gallery
6. bis 27. Juni 2003
Ausstellung: MARGARETHE HABERL – Einladungskarte / Leporello / Review

nac habres + partner
october 13 2004 – november 20 2004
presentation MARGARETHE HABERL – Flyer / Pressetext / Review
Radio Orange Kulturschiene 3. 11. 2004: Gespräch mit Dana Charkasi

galerie5020.
6. 7. – 14. 8. 2004
CONSTRUCTa Ausstellungsbeteiligung Margarethe Haberl

AREA53 Atelier&Gallery
5. März bis 9. Mai 2010
WIR LEBEN UND ARBEITEN IN WIEN
Brighten the Corners Ausstellungsbeteiligung MARGARETHE HABERL – Flyer

 

 

 



 

 

 

 

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